Konzertbericht
Rock gegen Gewalt - Flesh Gordon / Thekla / Illuscene / Beduart
19. September 2009
Chemnitz, Club Achtermai
Zum nunmehr 4. Mal öffnete der Club Achtermai, besser bekannt als Südbahnhof, seine Pforten zum Rock gegen Gewalt – Mini-Festival. Vier Bands der lokalen Rock und Punk-Szene gaben sich die Ehre. Wenn auch nur schwach beworben (nicht zuletzt mit einem falsch ausgeschriebenen Plakat vor den Toren des Veranstalters und einem kleinen, unauffälligen Hinweis auf der Hauseigenen Homepage), war die Ausrichtung doch letztlich eine gute Sache. In Zusammenarbeit mit dem KJF e.V., der Kinder-, Jugend-, und Familienhilfe e.V. der Stadt Chemnitz, rief der Südbahnhof zu einem freundlichen Miteinander auf.
Los ging das Konzert im nett geschmückten Ambiente – kleine Blumendekorationen sowie das klassische Peace-Zeichen an den Wänden – recht pünktlich mit Beduart und ihrem Eingangs-Statement: „Es ist fünf nach, wir müssen anfangen.“ Der erste Song konnte gleich als Selbstvorstellung gewertet werden, beinhaltete er doch an mehreren Stellen den Bandnamen selbst. Danach musste erst einmal die Gitarre gewechselt werden. Zu diesem Zeitpunkt war der Zuschauerraum noch recht spärlich besucht, doch hielt das die vier Indie-Punks nicht davon ab, die Bühne zu rocken. Mit Niemand sein konnten sie die vereinzelten Besucher neugierig machen, wenn auch die Beleuchtung sehr mittelmäßig, um nicht zu sagen MIES, ausfiel. Zwar war es vierfarbig, doch auch statisch, und so hatte Sänger und Gitarrist Christian das zweifelhafte Glück, im Schattenspiel zwischen den Lichtkegeln zu agieren. Der weitere Verlauf ihres Auftritts war von Ansagen der Natur: „Franz, sag Du mal was…“ sowie weiteren Gitarrenwechseln geprägt. Lieder wie Sag mir nicht, was ich will oder Eva konnten dem sich langsam füllenden Zuschauerraum durchweg positive Resonanz entlocken, bis die Chemnitzer mit ihrem wohl neuesten Werk, dem Schuhverkäuferlied, einen gelungenen Abschluss zelebrieren konnten.
Die Umbaupause – ab etwa 20vor10 – war von sehr angenehmer und abwechslungsreicher Rockmusik gespickt. Nahezu pünktlich um 22:00Uhr begannen Illuscene ihren Auftritt. Das Quartett bot ruhigen und atmosphärischen Alternative-Rock mit weiblichem Gesang, jedoch war der Sound derart schlecht abgemischt, dass man nicht ein einziges Wort des Textes verstehen konnte. Nach dem Eingangstitel wurde erst einmal das in der Pause aufgestellte Keyboard für den Einsatz von Applaus-Samples missbraucht, da das Publikum mit eben solchem eher sparsam umging (aber das Publikum selbst war ja auch sehr sparsam bestückt).
Sängerin Marie-Theres mühte sich deutlich mit den Tönen ab, traf auch nicht immer 100%ig, was aber nicht zwingend negativ auffiel, denn stilistisch bewegten die vier Musiker sich von Minute zu Minute vom atmosphärischen hin zu ätherischen Klängen, die irgendwie Lust auf das heimische Bett machten (und das ist jetzt durchweg positiv gemeint).
Die Rollenverteilung war klar umrissen, im Mittelpunkt der Performance stand die Sängerin, alle Instrumentalisten identifizierten sich durch ihre Instrumente, was besonders in der Vorstellung der einzelnen Bandmitglieder deutlich wurde, nannte die Dame am Mikro sie doch „der Gitarrist“, „der Bassist“ und „der Drummer.“ Zum Abschluss legten sie sich noch einmal mächtig ins Zeug und zur Freude einiger Anwesender konnte man nun innerhalb des esoterischen Gesäusels einzelne Textfragmente erahnen. Nach einer halben Stunde beendeten Illuscene ihren Auftritt und machten Platz für die nächste Horde Umbauwütiger.
22:48 Uhr. Thekla waren an der Reihe die Bühne zu rocken. Zu Dritt boten die Chemnitzer typischen Punk mit Trademarks wie dreckigem Gesang und schnarzenden Gitarren. Gelegentlich fühlte man sich, gerade beim wechselnden Gesang von Gitarrist Freddy und Helge, dem Bassisten, an eine abstrakte Mischung aus Alexi Laiho und Elvis erinnert. Der Zuschauerraum indes hatte sich schon deutlich gefüllt, und einige Mutige in den ersten Reihen begannen dezent zu Songs wie Man in the Moon zu pogen, und zum ersten Mal an diesem Abend kam die Nebelmaschine zum Einsatz. Eine sehr witzige Idee war das Cover der deutschen Version des wahrlich königlichsten Affensongs des letzten Jahrhunderts. King Lui’s Lied aus Disneys Dschungelbuch von 1967: Für Fans der Szene definitiv ein erfrischendes Zwischenspiel.
Ein weiterer Cover-Song sorgte beim Publikum für nahezu durchweg positive Resonanz: Theklas Version von What a Wonderful World bewegte sich da haarscharf an der Schmerzgrenze; vor allem die schnelle Spielart sowie der gepresste Shout-Gesang wirkten etwas befremdlich im Vergleich zur Version von 1967. – Übrigens: ob es Zufall ist, dass beide Cover aus demselben Jahr stammen? Ja, wahrscheinlich, aber witzig ist es doch.
Nach Beendigung ihres Auftritts wurden die Musiker mit – erstmalig an diesem Abend – Zugaberufen aus dem Publikum belohnt.
23:46 (wenn das Licht nicht schon aus gewesen wäre, würde es jetzt ganz theatralisch gedimmt worden sein) Aus den Boxen schnarrt der Titeltrack zu The Contender, der amerikanischen Version von Big Brother, oder eher Big Boxer, handelt es sich doch um die eher sportliche Variante dessen. Doch den meisten Anwesenden, und davon waren nun schon um einiges mehr da, dürfte diese Information reichlich wurscht gewesen sein, ebenso die Tatsache, dass das Stück aus der Feder des wohl berühmtesten deutschen Filmkomponisten, Hans Zimmer, stammt, hier allerdings als Intro der Headliner-Band gebraucht wurde. 1 Minute und 12 Sekunden schwelgen in heroischer Klanggewalt, und man erwartet die Helden aus den Nebelschwaden hervortreten, in Zeitlupe, das Schwert, die Faust oder eine Keule schwingend, und was einen dann erwartete… das überraschte in der Tat. Schon beim ersten Blick auf die Wilde Horde auf den Brettern, die die Welt bedeuten, erahnte man in der gesamten Pracht der Reizüberflutung, was da auf einen zukommen würde. Vier Flummis und ein Drummer stellen sich als Flesh Gordon vor. Sänger Jack in seiner Glam-Rock-Pelz-Kutte, James, der Bass-Mann, mit einer Decke, ähm, einem Cape, um den Hals, und die Gitarristen Jim und Johnny (woran erinnert uns das bloß…)1 stellen sich als die reinsten Popstars dar, das affektierte Getue lenkt jedoch nicht von der erstaunlich hohen Qualität ihrer musikalischen Leistung ab. Die eigenen Lieder, die dort in bester Rockstar-Manier zelebriert wurden, waren u.a. Reach Out und On The Run, aber auch gecovert wurde mit Spielfreude und Engagement. Hier wurde in großem Stile melodischer Punk-Core mit Karnevalsambitionen geboten, wenn auch des Sängers Sprungkraft – sowie seine stimmliche Kondition – mit fortschreitendem Abend an Elastizität verlor. Dem Publikum war das auf gut deutsch gesagt scheißegal! Die Meute gröhlte, jaulte, tanzte und pogte, und sog das Energiefeld, welches zweifelsohne sein Zentrum auf der Bühne hatte, mit Freuden auf, wie eine leicht bekömmliche Droge. Lady Gagas Pokerface wurde in einer interessanten Version dargeboten, und während die vier Musiker dynamisch durcheinander fegten ohne sich dabei gegenseitig ins Gehege zu kommen (das ist schon mal eine Leistung!) und Drummer Joe die Sticks in Speed-Attacken schwang, hatte man das Gefühl, auf einem Karussell zu stehen, und einfach nicht abspringen zu können. Die Ankündigung eines Covers von Under Jolly Roger machte das Metalherz hellhörig, doch geboten wurde was auch immer, nur nicht Running Wild (schämt Euch!), und da konnte auch die Piratenflagge nichts mehr wett machen. Um 0:38 verließ das Quintett die Bühne, nicht ohne mit reichlich Applaus bedacht zu werden. Exakt eine Minute später ging das Licht im Südbahnhof an und um 0:43 wurde dann auch die Lüftung eingeschaltet. Die noch verbliebenen Gäste strömten nun zum Ausgang, während wir im Durchzug auf die Musiker warteten, mit denen im Anschluss ein Interview vereinbart war. Dieses lief sehr amüsant und chaotisch ab und war inhaltlich vergleichbar dem Netz einer Salticus scenicus. Einen Ausschnitt des fröhlichen Beisammenseins findet ihr hier.
mica
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1Übrigens sind diese beiden Stellen erneut ausgeschrieben, wer sich also berufen fühlt, Gitarrist zu werden und seinem Namen ein J beizufügen, möge sich bei der Band melden.